Fred Licht, Coll. Peggy Guggenheim, Venezia
Ausstellung Heilfurth und Siebel in Pistoia (Auszug)
...Die aktuelle Ausstellung von Günther Heilfurth und Beta
Siebel repräsentiert ... eine Zusammenarbeit in Parallelität.
Jeder von ihnen drückt sich in einer unterschiedlichen Sprache
aus, jeder von ihnen hat eine unterschiedliche Wahrnehmung von Raum
und Licht, jeder von ihnen wendet sich unterschiedlichen Materialien
zu. Wichtiger noch, jeder von ihnen nimmt das Thema des menschlichen
Gesichtes in unterschiedlicher Weise wahr. Es handelt sich um ein
Gespräch, dem Willen entsprungen, dass einer den anderen kennenlernt
und versteht....
... Der Stil von Heilfurth ist sehr nahe ... der Skulptur des deutschen
Expressionismus (Kokoschka!) ... Heilfurth schöpft aus einer
Konstante der deutschen Kunst, die in der Lage ist, den Körper
vom Kopf zu trennen, das Physische vom Geistigen, um zu einer quälenden
Erfahrung angsterfüllter Einsamkeit des Menschen zu gelangen.
... Der Ausdruck des Gesichtes ist vollkommen identisch dem wahren
Ausdruck der Seele nur in Momenten der Ekstase oder der Verzweiflung...,
so wie es die Köpfe erleben, die von Heilfurth ein jeder in
seinen Steinblock hineingesetzt wurden.
... In den Skulpturen von Heilfurth ist die Form (und es ist eine
Form frei von jeder Idealisierung) eine Einheit mit dem Material,
das sie umgibt. Der Gefangene ist untrennbar von seinem Gefängnis.
... Äußerst interessant der Unterschied zwischen den
Köpfen, die in den Wandsteinen präsentiert werden und
denen, die in die Blöcke eingearbeitet sind. Bei den ersteren
sehen wir die Köpfe in einer horizontalen Achse, einer Achse,
die uns vertraut ist, wenn wir uns im Dialog mit anderen Individuen
befinden. Im zweiten Fall sehen wir von oben nach unten in einer
vertikalen Achse ... so sehen wir physisch und bildlich "in
die Tiefe". Sehen wir durch einen Durchbruch in ein Grab? Oder
sehen wir, wie Narziss über das Wasser gelehnt, das Spiegelbild
unseres Gesichtes? Wer von uns hat nicht schon eine Maske getragen
ähnlich den Köpfen von Günther Heilfurth?
... Sowohl Fotografie als auch Skulptur benötigen eine aktiven
Eingriff des Künstlers. Aber wenn die Arbeit an der Skulptur
beendet wurde, "ist" sie da, während die Fotografie
"sich entwickelt". Die geheimnisvolle Aktion des Lichtes
auf dem Fotopapier und genauso heimliche "Entwicklung"
des Fotos in der Dunkelkammer charakterisieren die Fotografie und
unterscheiden sie von jeder anderen Form des Bildes. Selbst die
... Reportagefotografie behält einen Aspekt des "Flüchtigen",
ein Effekt, als folge etwas nach. Beta Siebel nutzt die Suggestion
einer Kontinuität in einer außerordentlich expressiven
Weise. Ihre Fotografien umarmen die Skulpturen in der Ausstellung
und setzen als Kontrapunkt gegen die Beschränktheit und Unbeweglichkeit
der Steine die Kontinuität und Weite es Raumes.
... Vielleicht weil sie Frau ist, kann Beta Siebel das Individuum
als Komponente eines Miteinander sehen. In ihren Fotografien durchdringen
sich undefinierbare Räume, Licht und ich würde sagen auch
das Gefühl einer Temperatur mit Teilen von Physiognomien. Im
Dialog zwischen den beiden Künstlern in der Ausstellung fühlte
ich die Schwingungen eines starken Wunsches zu trösten, der
ausgeht von dem Werk von Beta Siebel.
Ich weiß nicht, wie diese Ausstellung anderswo aufgenommen
wird. Aber in Italien besteht ein Teil der Faszination dieser Werke
in der italienischen Art, sich in die Kommunikation anderer einzubringen.
Dieser Wunsch zu kommunizieren und, wenn auch nur für einen
kurzen Augenblick, eine menschliche Verbindung zu schaffen, zählte
immer zu den schönsten und bewundernswertesten Charakteristiken
der Italiener. Es könnte eine ernste Mahnung sein, die sich
im Dialog von Günther Heilfurth und Beta Siebel ausdrückt,
diese Gabe der "civiltà latina" inmitten vieler
Veränderungen zu bewahren.
Massimo Durante, Universität Turin/ Sorbonne, Paris
Schwierigkeit der Schönheit und Schönheit der Schwierigkeit
Skulpturen und Fotografien von Günther Heilfurth und Beta Siebel
Im Essay von 1869, "Kultur und Anarchie" (Cultura ed
Anarchia) widmet Matthew Arnold, einer der großen Intellektuellen
des 19. Jahrhunderts das Kapitel IV dem Vergleich von Hellenismus
und Judentum.
Es geht dabei nicht um einen Gegensatz, sondern darum, ihren Beitrag
zur Herausbildung der Idee und der Konzeption des "Schönen"
aufzuzeigen. Es ist in der Tat unmöglich, von einer Geistes-
und Kunstgeschichte in Europa zu sprechen, ohne den Beitrag zu würdigen,
den die griechische und jüdische Matrix auf verschiedenen Wegen
zur Entwicklung dieser reichen Geschichte geleistet haben.
Für den Hellenismus liegt die Schönheit in der Perfektion
der künstlerischen Schöpfung: das Kunstwerk ist getrennt
von seiner geschichtlichen Einbindung, vom Prozeß, in dem
es geschaffen wurde und die Schönheit, die dem Kunstwerk innewohnt,
wird als isoliert wahrgenommen.
Für das Judentum ist das Resultat der künstlerischen Tätigkeit
nicht von seiner Geschichte zu trennen. Die Schönheit des Kunstwerkes
ergibt sich aus der Anstrengung, durch die es geschaffen wurde.
Die Anspannung in der Aktion besitzt eine eigene verborgene Schönheit,
die - so Arnold- als "Schönheit der Schwierigkeit"
(Bellezza della Difficoltà) definiert werden kann. Das Werk
in Kunst- und Geistesgeschichte ist nicht zu trennen von der Schwierigkeit
des kreativen Aktes (gesto creativo), es ist diese Schwierigkeit,
die Wert auf die Idee oder auf die Kunst überträgt.
Die "Schönheit der Schwierigkeit" , jüdisches
Erbteil der "Spiritualität des Tuns" (spiritualità
del gesto) inspiriert zutiefst die Kunst von Günther Heilfurth
und Beta Siebel, für die die Reflexion zum Thema Gesicht auch
eine Reflexion ist über die "Schwierigkeit von Schönheit"
nach Auschwitz. Gibt es einen Platz für Schönheit nach
Auschwitz? Ist das Gesicht des Menschen des 20. Jahrhunderts noch
wiederzuerkennen, verletzt in einem Jahrhundert von Blut und Krieg?
Das Gesicht ist gezeichnet von dieser Tragödie der Menschheit;
ausgehend vom Gesicht lässt sich auch wieder eine Utopie des
Humanen denken. Wenn der Gedanke an Schönheit noch möglich
ist, dann nicht als Schönheit der Form sondern als "Schönheit
der Schwierigkeit": als Schönheit des Tuns (difficoltà
del gesto), die Materie zu bearbeiten bis ein Gesicht geschaffen
ist und dort innezuhalten, als Schwierigkeit des Ziels, ein Gesicht
festzuhalten, um es vor dem Verschwinden zu bewahren.
Günther Heilfurth und Beta Siebel sind ein Paar im Leben,
sie arbeiten nicht zusammen, sind aber im Dialog miteinander: ein
Künstlerpaar, das sich der Verantwortung vor der Geschichte
bewusst ist. Bewusst auch der Notwendigkeit, die "Schwierigkeit
der Schönheit" und die "Schönheit der Schwierigkeit"
aufzuzeigen, dieser Hoffnung, dass Kunst lebendig machen und erneuern
kann.
Beide wollen Erkenntnisse gewinnen zum Gesicht: er mit der Skulptur,
sie mit der
Fotografie. Dabei sind sie von den Gedanken des jüdischen Philosophen
Emmanuel Lévinas inspiriert.
Um ein Gesicht zu schaffen will Günther Heilfurth nicht die
Materie vom Granitblock eliminieren, wie es in der Tradition der
griechischen Skulptur üblich ist. Er sucht es in der Materie,
es wird in den Granit eingegraben. Das Gesicht erscheint in einem
langsamen Prozess: es ist Zeuge des Widerstands der Materie, der
Schwierigkeit des Tuns ( del gesto), der Schwierigkeit, ans Licht
zu kommen und im Licht zu bleiben, in die Existenz zu kommen und
in ihr zu bleiben.
Wenig mehr als eine Spur wird in der Materie hinterlassen: Materie,
gedacht als Gegensatz zu Spiritualität, ist hier deren Wächter
und Konzentrat. Die Menschlichkeit wird gesucht in der Materie,
die sie negiert: Es gibt immer die Möglichkeit einer letzten
Bejahung im Innersten der Verneinung, so wie eine Inschrift in einem
Stein, die einen Namen dem Vergessen entreißt.
Bei den Skulpturen von Heilfurth begegnen wir dem Gesicht in einer
horizontalen und einer vertikalen Achse. Wir begegnen dem Gesicht
als Gesprächspartner, der uns befragt und uns an unsere Verantwortung
heranführt. Wir begegnen dem Gesicht als etwas, über das
wir Macht haben und das uns trotzdem, als Spiegel, unser deformiertes
Bild zurückwirft. Wir begegnen dem Gesicht so wie man in einer
Begräbnisstätte die Spur dessen findet, der für immer
verschwunden ist, aber der die Spur nicht völlig ausgelöscht
hat. Im Gesicht , das von Heilfurth in den Granit eingegraben ist,
gibt es einen dunkle und unerforschliche Dimension: Es ist die Verwicklung
des Menschen in den Bereich des Bösen, von der auch gezeugt
werden muss.
In den Fotos von Beta Siebel ist das menschliche Gesicht lediglich
angedeutet: Thema ist nicht das Porträt, sondern das Gesicht
ist erfasst in seiner Erscheinungsweise, wie etwas, das erscheint,
um zu verschwinden, das im Begriff ist, keine Spur von sich zu hinterlassen,
als ob es bittet, gerettet zu werden. In ihren Fotos drückt
das Gesicht einen Wunsch nach Tröstung aus. In der Darstellung
des immer selben Gesichtes ergeben sich unterschiedliche Wärme-
und Raumgefühle: Das Gesicht erscheint immer anders, als trüge
es in sich eine Verschiedenheit, als ob von Mal zu Mal das Foto
nichts anderes hinüberretten könnte als ein einzelnes,
winziges Merkmal, als ob jedes einzelne und kleinste Merkmal des
Menschen es dennoch wert wäre gerettet zu werden.
Jedes Foto ist dreifache Erinnerung: eine Erinnerung an jemand,
der nicht mehr ist, eine Erinnerung an das Tun, das diese Erinnerung
fixiert hat und eine Erinnerung an jemand, der noch nicht da ist.
Es ist diese letzte, kaum wahrnehmbare Erinnerung, die Beta Siebel
interessiert, diese Erinnerung , die ein Angebot ist, das vielleicht
jemand annimmt. Es ist ein Gesicht, das sich an die Hoffnung wendet,
an die Möglichkeit eines neuen Erscheinens. Im Zyklus der Fotos
von Beta Siebel ist die Zerbrechlichkeit des Gesichts eine andere
Art, von der "Schönheit der Schwierigkeit" zu sprechen.
Vor einigen Jahren haben Günther Heilfurth und Beta Siebel
Berlin verlassen und leben in Italien, in der Toscana. Ihre Arbeit
hat den Wert eines Zeugnisses, in ihrem künstlerischen Werdegang
ist jede Arbeit ein "work-in-progress", bei dem der Arbeitsprozeß
mehr zählt als das Resultat, in dem der kreative Gestus zum
Ausdruck der Schwierigkeit des Lebens wird als ein Versuch, das
Leben neu zu beginnen, als ob jedes Mal das Leben seinen eigenen
Anfang wieder erfinden müsste.
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